Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz:
Harburger Mahnmal

Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz: Mahnmal (Foto: KUNST@SH/Jan Petersen, 2020)

Daten zum Werk

Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz: Harburger Mahnmal
(1986-1993, Stele aus Stahl, Bodenschacht)
Harburger Ring, S-Bahnhof Harburg Rathaus, 21073 Hamburg (Harburg)

Routenplaner: 53.46088, 9.98038


Beschreibung

Das Harburger Mahnmal von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz hebt sich bewusst von den meisten anderen Denk- und Mahnmalen ab. Denn es wurde im Laufe weniger Jahre nahezu unsichtbar, bleibt aber dennoch präsent. Der wichtigste Bestandteil ist nicht die äußere Form, sondern die persönliche und öffentliche Auseinandersetzung, deren Spuren es auf Dauer trägt.

Mitten im geschäftigen Trubel der Harburger Innenstadt wurde 1986 eine 12 Meter hohe Stele aufgestellt. Der Stahlkern erhielt eine Ummantelung aus weichem Blei, verbunden mit der ausdrücklichen Aufforderung, dass Besucher:innen dort ihre Spuren und Namen hinterlassen sollten. Sobald die Stele rundum mit Inschriften versehen war, wurde sie um rund zwei Meter in den Boden abgesenkt, um Platz für neue Inschriften zu schaffen. So wurde der sichtbare Teil Jahr für Jahr immer kleiner, bis schließlich nach der achten Absenkung im November 1993 die Stele vollständig im Boden versunken war. Es ist nur noch die Oberseite sichtbar, die jetzt wie eine Bodenplatte wirkt. Nebenan erläutert eine Bildtafel mit Fotos der Zwischenschritte den Verlauf der Absenkungen. Geht man die Treppenstufen abwärts in Richtung U-Bahnhof, dann entdeckt man eine Stahltür mit einem schmalen, vergitterten Sichtschlitz. Durch diesen kann man ins Innere schauen und einen Blick auf einen Teil der immer noch vorhandenen Stele werfen.

Das Künstlerpaar verfolgt mit diesem Mahnmal die Idee, sich von den üblichen Mahnmalen abzusetzen, die nach einiger Zeit von der Bevölkerung gar nicht mehr wahrgenommen werden und ihren Zweck damit nicht mehr erfüllen. Ihrer Ansicht nach ist die Auseinandersetzung mit den Gedanken viel wichtiger. Im Laufe der Jahre hinterließen mehr als 60.000 Personen ihre Spuren und Zeichen auf der Stele, bevor sie vollständig versank. Das ungewöhnliche Mahnmal fand viel Widerhall in den Medien und in der Öffentlichkeit und fordert noch heute dazu auf, sich eigene Gedanken zu machen und Stellung zu beziehen. Der Künstler wird mit den Worten zitiert: „Denn die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmäler.“

Person

Esther Shalev-Gerz
Esther Shalev-Gerz, geb. Gilinsky, wurde 1948 in Vilnius, Litauen geboren. Sie absolvierte die Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem. Sie erhielt diverse Stipendien u.a. vom DAAD, Berlin (1990) sowie diversen Universitäten in Schweden sowie vom Wolfsonian, FIU, Miami (2011). Ihre Arbeiten wie Denkmäler, Installationen, Fotografien, Videos und öffentliche Skulpturen werden durch aktiven Dialog, Beratung und Verhandlung mit Menschen entwickelt, deren Teilnahme einen Schwerpunkt auf ihre individuellen und kollektiven Erinnerungen, Meinungen und Erfahrungen legt. Zusammen mit ihrem Mann Jochen Gerz realisierte sie 1986 das Mahnmal gegen den Faschismus in Hamburg-Harburg. Von 2003 bis 2015 war sie Professorin an der Kunsthochschule Valand Art School der Universität Göteborg in Schweden. Sie hat international u.a. in San Francisco, Paris, Berlin, London, Stockholm, Vancouver, Finnland, Genf, Guangzhou und New York ausgestellt. Ihre Arbeiten befinden sich in großen internationalen öffentlichen und privaten Sammlungen. Zu ihren Mahnmalen gehört auch eine Installation in der Gedenkstätte Buchenwald. Seit 1984 lebt und arbeitet sie in Paris.

Weitere Informationen (extern):Website Wikipedia

Jochen Gerz
Jochen Gerz wurde am 4. April 1940 in Berlin geboren. 1959–1963 studierte er in Köln, Basel und London Literatur, Sinologie und Urgeschichte, bevor er 1966 nach Paris und 2007 nach Irland ging. Die Arbeiten des Autodidakten mit neuen Medien fokussieren sich auf Performances, Künstlerbücher, Installationen sowie insbesondere Foto/Text-Beiträge ab 1968 mit Einbeziehung des öffentlichen Raumes. Dabei stellt er seinen Fotos Texte gegenüber, wobei sich beide nicht wechselseitig erläutern oder beschreiben sollen, sondern den Betrachter bzw. die Gesellschaft als Teil des kreativen Prozesses mit einbeziehen sollen. So sind in manchen der Installationen z.B. das eigentliche Mahnmal nicht sichtbar, sondern muss in der Anschauung des Betrachters gedacht und realisiert werden. Seine Text/Foto-Kreationen nennt er „visuelle Poesie“. Zu den bekanntesten seiner Werke gehören u.a. das „Mahnmal gegen Faschismus, Hamburg-Harburg“ (1986), die Installation „2146 Steine-Mahnmal gegen Rassismus, Saarbrücken“ (1990-1993) sowie der „Platz des europäischen Versprechens, Bochum“ (2004–15). Seit 1975 konnte man Gruppen und Einzelausstellungen seiner Arbeiten in verschiedenen deutschen Städten sowie u.a. in Calais und Mailand sehen. Internationale Aufmerksamkeit erreichte er mit Beiträgen zur 37. Biennale in Venedig (1976) sowie zur documenta 6 (1977) und docmenta 8 (1987) in Kassel. Er ist Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, und Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig. Unter den vielen Preisen und Auszeichnungen sind der Deutsche Kritikerpreis, Berlin (1996); Ordre National du Mérite, Paris (1996); Peter Weiss-Preis, Bochum (1996) und der Grand Prix National des Arts Visuels, Paris (1998). Jochen Gerz lebt und arbeitet seit 2007 in Irland.

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Galerie

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